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Presse

Nordsee-Anker

Ostfriesische Inseln: Katzenhai-Züchter, Schnuckenschäfer und Kiebitz-Schützer - wie sich Insulaner fürs Watt und für den Naturschutz engagieren

 Christoph Müller: Der letzte Schnuckenschäfer von Borkum

Eigentlich ist Christoph Müller (58) Physiotherapeut auf Borkum. Aber der waschechte Insulaner ist auch der letzte Schnuckenschäfer auf den Ostfriesischen Inseln. Wie kommt man von der Columna vertebralis (Wirbelsäule) zur Ovis aries, wie die Moorschnucke auf Lateinisch heißt? „Das ist eine lange Geschichte“, erinnert sich Christoph Müller. „Vor 25 Jahren habe ich die ersten Schafe vom Inselzahnarzt, der aus Altersgründen aufgehört hatte, übernommen. Ich fand die Aufgabe einfach interessant.“ Entsprechend engagiert geht er an die Arbeit: Er machte Ausbildungen – vom Schurkurs bis zum Ablammen – und vergrößerte die Herde. Mittlerweile betreut er rund 100 Tiere.  

Aktuell ist Lammzeit, da sind seine Tage besonders lang. Denn in diesem Jahr gibt es viele Flaschenlämmer. Morgens um 5 Uhr geht los mit dem Flaschen geben. „In der Anfangszeit muss ich das sechsmal am Tag machen“, sagt Müller. Alles was mit den Tieren zu tun hat, macht er allein. „Das mache ich bewusst, dann habe ich meine Ruhe.“ Für ihn ist es der perfekte Ausgleich zur Praxisarbeit. Seinen Alltag zwischen Patienten und Schafen kann er sich gut einteilen. Einmal die Woche singt er im Shanty Chor. Um die aufwendige Arbeit zu finanzieren, veranstaltet Christoph Müller auch Events wie die Schnucken- und Lammtage. Seine Frau kümmert sich um Verkauf von Wollprodukten. Über einen Nachfolger hat er sich noch keine Gedanken gemacht: „So lange ich gesund bin, mache ich weiter.“  

 

Maria Oetjen: Züchten und Auswildern von Katzenhaien und Ohrenquallen

Morgens um 8.00 Uhr beginnt Maria Oetjens (62) Tag im Nordsee Aquarium Borkum. Dann füttert sie als erstes die Tiere, bevor die Gäste kommen. Vor rund 30 Jahren ist die gelernte Kinderpflegerin aus Nordhorn auf die Insel gezogen. Dort lernte sie ihren Mann kennen. Ende der 1990er Jahre übernahm das Ehepaar Oetjen das Nordsee Aquarium. So kam Maria Oetjen zu ihrem Traumjob. „Wir haben das Aquarium um- und ausgebaut und alle relevanten Scheine gemacht“, erzählt sie. „Schließlich haben wir die Zoogenehmigung bekommen.“ Das war gleichbedeutend mit der Lizenz zum Fangen, Züchten und Auswildern. 

Maria Oetjen züchtet mittlerweile Katzenhaie, Ohrenquallen, Wellhornschnecken und Seedahlien. Außer bei den Quallen immer mit dem Ziel der Auswilderung. Anfang Mai werden die nächsten Katzenhaie in die Nordsee entlassen. Und das Zuchtprogramm zahlt sich aus: „Mittlerweile findet man wieder Hai-Eier am Strand. Das war, als ich auf die Insel kam, nicht der Fall“, sagt Oetjen. Während der Stürme der letzten Monate bekam sie unerwartete Neubewohner aus der Nordsee: Zwei Katzenhaie waren angelandet, weil sie den Weg aus den Wellenbrechern am Strand nicht mehr herausfanden. Die beiden geschlechtsreifen Tiere wurden ins Aquarium gebracht und sollen nun für frisches Blut in der Zucht sorgen.

Mittlerweile ist Maria Oetjen als Tierpflegerin im Aquarium angestellt, das seit dem Neubau 2014 von der Nordseeheilbad Borkum GmbH betrieben wird. Sie ist und bleibt begeistert vom Leben im Meer. „Die Biologie dieser Welt ist so anders als an Land. Es gibt Tiere, die sich komplett verändern. Bei Plattfischen wandern sogar nach wenigen Wochen die Augen. Der Quallenzyklus, die Korallenfortpflanzung – das alles fasziniert mich sehr.“ Diese Begeisterung können die Besucher des Nordsee Aquariums Borkum spüren.

 

Egbert Schlotmann: Ein Pastor lädt ins Watt ein

Wie wird ein Pastor zum Wattführer auf Wangerooge? „Ich wollte mich weiterbilden, habe im Nationalparkhaus Rosenhaus nachgefragt und mich zum Wattführer ausbilden lassen“, erzählt Egbert Schlotmann (61). „Ich wollte entdecken, was es neben den Menschen noch auf der Insel zu entdecken gibt.“ Nach Wangerooge (gehört als einzige Ostfriesische Insel zum Bistum Münster) kam der katholische Pastor vor neun Jahren aus Dorsten. Der Bischof hatte ihm die Stelle angeboten. „Es ist eine tolle Stelle, eine tolle Insel und eine kleine, feine Gemeinde“, schwärmt Schlotmann, der noch gerne eine Weile hierbleiben möchte.

Parallel zu seiner Gemeindearbeit bietet der Pastor, der neben Seelsorger auch Exerzitienbegleiter sowie Ehe-, Familien und Lebensberater ist, eine wohl weltweit einzigartige Erfahrung an: Spirituelle Wattwanderungen. Zum einen will Schlotmann so seine Faszination für das Watt vermitteln. „Erstmal sieht man ja nur Grau. Aber je mehr man sich mit dem Watt auseinandersetzt, desto mehr entdeckt man wie reichhaltig es ist. Allein auf einem Quadratmeter leben zum Beispiel 100.000 Wattschnecken.“ Aus diesem und anderen Momenten zieht Schlotmann das Spirituelle. „Was entdecke ich, wie kann ich das mit meinem eigenen Leben verbinden“, beschreibt Schlotmann die besonderen Ansätze seiner Wattwanderungen. Er stellt seinen Gästen Impulsfragen, wie er sagt. Ein Beispiel: „Wenn wir Spuren im Watt sehen, frage ich, welche Spuren wir im Leben hinterlassen haben und wollen? Mein Ziel ist es, den Gästen für die Urlaubszeit und für zu Hause etwas mitzugeben.“ Seine Führungen (10 bis 12 pro Jahr, rund anderthalb Stunden) werden sehr gut angenommen.  „Im Sommer ist die Kirche brechend voll“, sagt Schlotmann, der auch mal einen Gottesdienst am Strand abhält. „Auch oder gerade im Urlaub suchen die Menschen Spirituelles, was gar nicht unbedingt mit der Kirche zu tun haben muss. Strandkorb und Baden sind schön, aber da gibt es noch mehr.“

 

Florian Lemke: Warum der Ranger Igel und Kartoffelrose nicht auf der Insel haben möchte

Florian Lemke ist noch ganz frisch Nationalpark Ranger auf Langeoog, erst seit einem Jahr ist er im Amt. Doch Herausforderungen findet er bereits genug. Ein Beispiel: Obwohl die Uferschnepfen und Kiebitze beste und geschützte Bedingungen zum Brüten haben, ging ihr Brutbestand auf der Insel zurück. Erst das Aufstellen von Gelegekameras brachte des Rätsels Lösung. Igel entpuppten sich als Nestplünderer. Igel kommen natürlicherweise auf den Ostfriesischen Inseln nicht vor, da sie diese auf natürlichem Weg nicht erreichen können. Menschen haben die Igel mitgebracht und auf der Insel ausgesetzt. Mit fatalen Folgen für die heimischen Brutvögel, die überwiegend am Boden brüten und deren Nester von den Igeln ausgeräubert wurden. Die Nationalparkverwaltung hat sich vor einigen Jahren entschieden, diesen schädlichen Einfluss auf die Artenvielfalt zu beheben. Mit Hilfe von speziellen Hunden werden die putzigen Stacheltiere aufgespürt und am Festland in ihren natürlichen Lebensräumen wie Wälder und Hecken ausgewildert. Die Maßnahme zeigt Erfolg: Verluste von Gelegen der Wiesenvögel werden auf Langeoog nicht mehr festgestellt.  Der Schutz von Tieren, die auf der Roten Liste bedrohter Tierarten stehen, ist nur eine von vielen Aufgaben des Rangers. Auch die Ausbreitung der invasiven Kartoffelrose muss in den Dünen gestoppt werden. Sie sieht zwar schön aus, verdrängt jedoch heimische Pflanzen und ist schlecht für den Dünenschutz. „Ihr Wurzelwerk geht nicht sehr tief“, erklärt Florian Lemke. „Die Wurzeln des Strandhafers wiederum gehen bis zu zehn Meter tief und bilden ein Netzwerk, welches die Dünen zusammenhält.“ 

Lemke ist ein Quereinsteiger. Der gebürtige Kölner wurde mit 12 Jahren zum Küstenkind, ist gelernter Beton-Stahl-Facharbeiter. Weil seine handwerklichen Fähigkeiten gefragt waren, begann er beim Dünen- und Küstenschutz und lebt seit März 2015 auf Langeoog. Dort begann er als Dünen- und Vogelwart, bevor er im letzten Jahr die Stelle als Nationalpark Ranger antrat. „Dieser Job ist unglaublich vielfältig und spannend“, bereut Lemke den Wechsel keine Sekunde. Er kümmert sich um die Gebietsbetreuung, die Besucherlenkung und Kartierungsarbeiten. Einmal die Woche hat er Sprechstunde im Vogelwärterhaus und macht gerade die Zertifizierung zum Natur- und Landschaftsführer. Dann will er auch Führungen für Urlauber anbieten. Sein Geheimtipp für die Gäste: „Wer Zeit hat, sollte raus zum Ostende fahren und Station bei der Meierei machen. Dann geht es über einen Naturpfad zum breiten Sandstrand. Dort kann man den Blick auf die Seehundbänke genießen.“

 

Enno Janßen: Seit 21 Jahren lebt und arbeitet der Inselvogt auf Memmert

Als Enno Janßen (63) während seiner Lehre das erste Mal nach Memmert kam, verliebte er sich sofort in die Insel. „Das war Liebe auf den ersten Blick“, erinnert sich Janßen, der seit 21 Jahren Inselvogt auf der Vogelschutzinsel ist. Als er lange nach seinem ersten Besuch erfuhr, dass sein Vorgänger aufhören würde, dachte er sofort daran den Job zu übernehmen. „Voraussetzung war aber, dass meine Frau und mein Sohn, der damals 10 Jahre alt war, zustimmen.“ Und das taten sie. Seitdem lebt Enno Janßen von März bis November auf Memmert, seine Frau besucht ihn gelegentlich, sein Sohn verbrachte die Ferien beim ihm. Mittlerweile fährt dieser als Maschinist zur See. Mit dem Alleinsein hat der Inselvogt keine Probleme. „Ich kann unter vielen Menschen sein, aber ich kann auch sehr gut allein sein“, sagt er

Seine Freizeit ist rar. Aktuell hat der waschechte Ostfriese alle Hände voll zu tun. Es ist Brutzeit. Deshalb geht er die ganze Insel ab, erfasst alle Vögel auf dem gut fünf Quadratkilometer großen Areal. Rund 60 bis 80 Arten leben hier, 100.000 Tiere brüten jedes Jahr.  Kein leichter Job – auf Memmert gibt es keine Wege. „Ich bin stark von Wind und Wetter abhängig“, erzählt Janßen. Denn: „Bei strömenden Regen ist es keine gute Idee, die Vögel zu stören.“ Wenn die Rastvögel Station machen, erfasst er auch diese. 90 Prozent seiner Zeit ist Enno Janßen allein auf der Insel. Er bewohnt ein kleines Reetdachhaus, Handy-Empfang hat er nur im ersten Stock. „Ich arbeite noch mit Papier und Stift,“ sagt er. Im Auftrag des Landes Niedersachsen ist er für den Natur- und Vogelschutz auf Memmert zuständig, dazukommen die Inselaufsicht und Büroarbeit. Und natürlich die Hausarbeit, er ist Selbstversorger. Für Einkäufe hat er ein kleines Motorboot, mit dem er ans Festland fahren kann. Strom bekommt er durch eine Photovoltaik-Anlage. 

Zwei Jahre will er den Job noch machen, dann ist er 65. Seinen Nachfolger wird er einarbeiten. Es gibt viel zu erklären, allein was die Technik auf der Insel angeht. Den nahenden Abschied von Memmert sieht er mit Wehmut: „Klar, das sehe ich mit gemischten Gefühlen. Ich mache schon länger, als ich muss. Aber man wird nicht jünger.“ Enno Janßen wird seine Vogel-Insel vermissen. Die Vögel ihn mit Sicherheit auch.

  

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